Rhön ohne Tropfen
Rhön ohne Tropfen
Freitag, 8. August 2014
Der Morgen ist genauso schön wie der Abend. Interessanterweise dauerte die Radeltour zum Flugplatz zurück genauso lange wie die Bergaufstrecke in die Stadt. Das ist wahrscheinlich dem frankenweinunterstützten Erholungseffekt zuzuschreiben. Das Wetter lächelt uns an. Wir machen uns abflugfertig. Alle Wege stehen uns offen.
Aber vorher muß noch etwas Luft aus den Tanks. Leider gibt es heute nur blauen Kraftstoff, aber etwas Sicherheitsreserve muß sein.
Von der 03 schwingen wir uns in Richtung Nordost. Heute gilt es die Quellen der wohlschmeckenden abendlichen Glasfüllung zu erkunden.
Ich weiß nicht, ob wir die Romantische Straße wirklich verlassen haben. Hier jedenfalls sind wir auf dem Weinparadiesweg. Schloß Frankenberg liegt malerisch inmitten der Weinberge. Das Schloß selbst besteht eigentlich aus zwei mittelalterlichen Bauwerken, der Burgruine Hinterfrankenberg und dem jüngeren Schloß Vorderfrankenberg. Wenn man davon absieht, daß die Namensgebung nun nicht besonders einfallsreich ist, ein interessantes Stück Baurecycling.
Irgendwo muß aus all den Trauben von den Weinbergen dann die goldschimmernde Flüssigkeit gemacht werden. Zum Beispiel in Nenzenheim. Um 800 haben fränkische Siedler an dieser Stelle den Wald gerodet und dabei den Baugrund für das Dorf gefunden. Der Anführer der Bande hieß Nanzo. Behauptet wenigstens Barbarossa in einer Urkunde.
Ich tippe auf Riesling.
Bei Handtal befindet sich Deutschlands steilster Weinberg. Wir können nur vermuten, daß er irgendwo hier ist. Sind schon schlecht beschriftet, die Sehenswürdigkeiten in dieser Gegend.
Die Weinliebhaber sprechen von Mainfranken oder Weinfranken. Wir erreichen den Main, vermuten aber, daß da auch nur Wasser entlang fließt. Auf dem Flugplatz Hassfurt-Schweinfurt hätten wir Pause machen können, auch weil dieser Platz dieses Jahr im Landegutscheinheft ist. Aber möglicherweise wäre der Pilot oder die Lieblingsfotographin der Verlockung des Weines erlegen. Das Wetter ist hervorragend und so lassen wir den Platz einfach rechts liegen und setzen uns ein neues Ziel.
Die Haßfurter stiften auch einige Verwirrung um ihre Stadt. Malen ins Stadtwappen einen Hasen. In Wirklichkeit stammt der Name von „Hasufurth“ Nebelfurt, Weg durch den Nebel. Behauptet zumindest das Internetlexikon. Aber auch das ist zweifelhaft. Kein Nebel in Sicht.
Hinter Wülfingen hat zwischen Fluß und Bundesstraße gerade noch ein kleiner See gepaßt, und prompt ist da auch einer. Klasse, wie das alles so zusammenpaßt.
Obertheres in Unterfranken. Ja, die haben schon einen subtilen Humor hier in der Gegend, wenn es darum geht, Ortsnamen zu finden. Ein protziges Kloster mit Flußhafen.
Kaum sind wir über den Main hinweg, werden am Boden nicht mehr nur ausschließlich Trauben angebaut. Hier zum Beispiel wachsen Golfbälle.
Wir drehen ein wenig nach Nordwest. Unser Flug führt uns in eine Gegend, die mir vor einigen Jahren nur als Herkunftsbezeichnung eines gefürchteten Magenbitters ein Begriff war.
Steinach an der Fränkischen Saale. Von den beiden Burgruinen ist aus unserer Position nichts zu entdecken. Hier ist Bayern dann gleich zu Ende. Zum Glück braucht man für den Grenzüberflug heutzutage keinen Flugplan mehr.
Bischofsheim an der Rhön. Schon allein der Name der Gegend, Grabfeldgau, hört sich schauerlich an. Noch dazu weil es eine Rumtata-Volksmusik-Polka mit diesem Namen gibt. Aber die Stadt sieht von oben ganz nett aus. Warum der kantige Turm, das Wahrzeichen der Stadt, Zehntturm heißt? Keine Ahnung. Von Steuergeldern „Zehnt“ wurden solche Bauwerke nicht nur in der Vergangenheit eigentlich immer bezahlt.
Bevor wir darüber weiter nachdenken, machen wir uns auf nach Hessen. Der Schlagbaum an der Grenze ist offen. Wir fliegen über die Rhön. Und stellen schon mal die Frequenz vom Zielflugplatz ein.
Leicht zu finden ist er ja. Einflug in die Platzrunde ist aus Westen. Und dann die nördliche Platzrunde. Und aufpassen sollen wir. Auf Gleitschirme, Modellflieger, Segelflugzeuge, Schleppzüge und sonstigen Verkehr. Das FLARM bekommt viel zu tun. Und die Adleraugen meiner Lieblingsverkehrsbeobachterin auch.
Und bei diesem Traumwetter ist tatsächlich ganz schön was los im Luftraum um die Wasserkuppe. Hier tummeln sich Gleitschirme und Modellflugzeuge.
Wir umfliegen den Gipfel, melden artig den rechten Gegen- und Queranflug und landen auf der Bergaufpiste.
Wir rollen beschleunigt ab, weil hinter uns unbedingt noch jemand landen möchte. Und auch ein Schleppzug wartet darauf zu starten. Die Bergauf-Landepiste ist zum Start übrigens eine Bergabpiste. Egal, woher der Wind weht. Gewöhnungsbedürftig.
Hier tanzt der Bär.
Wir finden einen Abstellplatz und ein schattiges Plätzchen für die Mittagspause.
Zwei Cola und ein großes Stückchen Mohnkuchen später machen wir uns auf einen Erkundungsgang. Glücklicherweise sind wir ja „befugt“ Der Flugbetrieb brummt. Auch mancher Oldtimer tummelt sich in der Luft.
Ein ultraleichter Lastenesel war ununterbrochen am Seglerschleppen. Jetzt verstehen wir die Bemerkung “Schleppmaschinen halten die Platzrunde nicht ein” im Anflugblatt. Nach dem Schlepp und dem rasanten Schnellabstieg quert die Maschine den Kopfbereich der Piste und wirft das Schleppseil ab. Mit einer “Kampfkurve” dreht sie dann in den Endanflug und ist kurz darauf wieder eingeschirrt für den nächsten Aufstieg. Luftarbeit.
Neben all den Luftiküssen war an diesem Tag noch mehr los. Die erdgebunden-motorisierten Zweiradfans der rockigen Fraktion hatten zum Harley-Treffen geladen und boten geführte Alt-0- Schnupperflüge durch die Rhön an.
Wir mögen es aber lieber beschaulich. Und was liegt da näher als das Segelflugmuseum. Seit einigen Jahren mit besonderer Modellflugausstellung. Ein wunderbarer Ort, um in Erinnerungen zu schwelgen. Das eine oder andere Modell kennen wir doch ...
Der Übergang von den Modellen zu den richtigen Flugmaschinen ist unmerklich. Sind das noch Modelle?
Schön, daß auch FES, Libelle Laminar und Favo für die Nachwelt gerettet wurden.
Natürlich haben wir viel zu wenig Zeit. Man müßte einmal in Ruhe all die Fliegereigeschichte auf sich wirken lassen. Ein wundervolles Museum, in dem es viel zu entdecken gibt.
Wer hat an der Uhr gedreht? ... Das Radarbild zeigt einige bunte Flecke, die sich langsam von Westen nähern. Das nächste Kartenblatt bekommt einen Strich. Und ein PPR-Anruf wird auch noch gemacht. Wir wollen noch etwas weiter nördlich, die Zeit bis zum Regen sollte gut ausreichen.
Wir reihen uns in die Warteschlange am Start ein.
Bewundern noch ein Segelflugzeug bei der Landung. Tatsächlich, die Landeeinteilung paßt. Wie die Segelflieger es nur immer schaffen, nicht Durchstarten zu müssen?
Und dann starten wir auf der Bergabpiste. Mit Rücken- Seitenwind. Und einem entgegenkommenden Segler. Den Seitenwind hab ich ein wenig unterschätzt, so daß es uns nach dem Abheben mächtig aus der Mitte pustet.
Der Luftkurort Wüstensachsen liegt gleich an der Abflugstrecke. Von hier ist man wahrscheinlich hautnah dran am Flugbetrieb am Berg der Segelflieger. Luftkur eben. Nebenbei kann man von hier fast nach Thüringen spucken, aber das steht erst später auf unserem Programm.
Bodo mit dem Bagger baggert ein Loch. Und wenn er nicht aufpaßt, kommt er hinter der Landesgrenze wieder raus. Und ich dachte immer, die Rhön, das wären sanfte Hügel. Es gibt hier also auch das Gegenteil davon.
Die Grenze macht hier einen ziemliche Zickzackkurs. Und schon haben wir dieselbe verletzt und sind doch in Thüringen. Der Ort Gehaus gehört zu Stadtlengsfeld. Und um die geografische Verwirrung komplett zu machen, heißt der Berg, an dessen Hang der Ort liegt, Baier. Hat aber bestimmt nichts mit den Völkerscharen rund um den Weißwurschtäquator zu tun, sondern das Gelände hieß wahrscheinlich schon so, als der Berg noch ein Vulkan war.
Wir bleiben auf Kurs und sind wenig später wieder in hessischem Luftraum. Hinter Heringen finden wir diesen Orientierungspunkt. Wußten wir es doch. Den Leuten hier sind die Berge und Hügel einfach zu klein. Und sie sind dabei, sich ein richtiges Gebirge zu bauen. Weiter im Süden hatte man sich zum Aufbau der Alpen ja einige Millionen Jahre Zeit genommen. Und wenn man sieht, wie weit man hier in ein paar Jahrzehnten gekommen ist, kann man sich vorstellen, wie gewaltig dieses Gebirge einmal werden wird.
Schon wieder Thüringen. Und schon wieder Hessen. Obersuhl gehört zu Hessen, Untersuhl zu Thüringen. Der Fluß rechts ist zu allem Überfluß nicht etwa die Suhl (nach dem die Orte benannt sind), sondern die Werra. Und daß das ganze mit der Fahrzeug- und Jagdwaffenstadt nichts zu tun hat, brauchen wir bestimmt nicht zu betonen. Ganz schön verwirrend, so eine Luftreise. Rechts liegt Berka. Nein, nicht Bad Berka.
Wölfterode hat 82 Einwohner. Wir zählen sicherheitshalber mal nach. Und merken uns den Wolf aus dem Dorfnamen, immerhin benötigen wir ja noch eine Übernachtung ...
Bischhausen. Hier mündet der Hosbach in die Wehre. Einen Mausberg gibt es auch in der Nähe. Für unsere Flugplanung ist dieser Orientierungspunkt recht wichtig, wir ändern den Kurs etwas nordwestlicher.
Wir umfliegen ein paar Luftfahrthindernisse. Ob da nicht ein Turm auch ausgereicht hätte? Vielleicht ist es aber auch Familie Funkturm (Vater, Mutter, Sohn und Tochting) auf Ausflug?
Walburg. Ein kleines Örtchen mit einem interessanten Anblick. Der Ort hat im Verlauf der letzten 800 Jahre nur einen Buchstaben in seinem Namen geändert. Das nenne ich Beständigkeit.
Hier haben wir sie wieder, die Franken. Denn die haben hier vor 1000 Jahren den Wald gerodet und losgesiedelt. Und nicht etwa die Römmer, wie der Name Römmerode vermuten läßt. Später prägten Salz, Braunkohle und Ton die Ortschaft, all das ließ sich hier in der Gegend aus der Erde graben. Von der Braunkohle bleiben die beiden Exbergseen.
Ich habe keine Ahnung, welche Häuschen meine Lieblingsfotographin hier wieder auf's Silizium gebannt hat. Interessant ist, daß wir hier vorübergehend das nächste Bundesland erreichen. Irgendwo hier ist die Landesgrenze zu Niedersachsen.
Hier der Beweis. Der Golfclub Wißmannshof gehört zur Ortschaft Speele und liegt im Landkreis Göttingen. Aber da wollen wir heute nicht mehr hin. Wir melden uns am Funk und nehmen Kurs auf den Pflichtmeldepunkt Sierra1 von Kassel-Calden.
Das mit dem Funken in der Kontrollzone klappt ganz manierlich. Und schon sind wir im rechten Gegenanflug.
Wir parken zwischen größeren Fluggeräten und verzurren unsern Skyranger sorgfältig.
Kassel-Calden. Ist zur Zeit nicht nur in den Schlagzeilen, sondern auch im Landegutscheinheft. Ob die Malorca-Flieger auch auf diese Weise die Landegebühr sparen? Wissen wir nicht. Die Infrastruktur ist jedenfalls vorbildlich.
Für uns sollte Kassel im Zeichen der Kultur stehen. Letztens hatten wir im Fernsehen (Fernsehen bildet) eine Sendung über ungewöhnliche Hotels gesehen. Und in genau so ein ungewöhnliches Hotel sollte uns unsere Reise heute führen. Die Taxifahrerein schaut skeptisch. Das ist kein Hotel, das ist ein Bordell.
Zugegeben, die Gegend ist schon etwas eigenartig-rotlichtig. Die Wolfhagener Straße ist nicht wirklich die erste Adresse in der Stadt. Hier hatten die Hells-Angles seinerzeit eine Lokalität. Nachdem dieser eher nicht gemeinnützige Verein vor einigen Jahren nach einer Polizeiaktion hier das Weite gesucht hatte, stand das Haus einige Zeit leer. Ein Künstlerpaar kaufte das Objekt vor zwei Jahren und hat aus dem Bordell ein interessantes Hotel gemacht.
Und wegen der Adresse “Wolf 53” steht es ganz im Zeichen des Wolfes.
Und wo Wolf ist, darf in Kassel Rotkäppchen nicht fehlen. Wir durften in einige Zimmer hineinschauen. Jedes ist ganz phantasievoll thematisch gestaltet.
Jedes Zimmer ist anders, alle sind besonders und liebevoll eingerichtet. Mit Bezug zu Wolf. Oder zu Kassel.
Telefonische Voranmeldung ist empfehlenswert. Wir bekamen für eine Nacht das Boxerzimmer.
Was bin ich froh, daß wir normalerweise die Taschengeldfrage ganz konventionell verhandeln.
Nicht nur das Haus und seine Zimmer, auch der Hof und der Garten bieten viele Wunderlichkeiten. Künstler eben.
Eine höchst angenehme Übernachtung. Und ein reichhaltiges Frühstück. Nur das Wetter tut (noch) nicht, was es soll. Die grünen Radarflecken von gestern haben sich immer noch nicht davon gemacht. Wir entscheiden uns für eine kleine Kulturrunde durch die Stadt. Die Front sollte am Nachmittag durch sein.
Und Kunst gibt es in Kassel jede Menge. Nicht alles versteht unsereiner, aber das muß, glaub ich, so. Im ehemaligen Hauptbahnhof ist eine Karikaturenausstellung. Ich fand's lustig.